(Kiel) Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Werkverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass bei einer Abweichung von der Gesamtregelung der VOB/B eine Inhaltskontrolle der einzelnen Kündigungs-regelung – im Hinblick auf unangemessene Benachteiligung – erfolgen kann. Sofern diese Regelung unwirksam ist führt dies zur Unwirksamkeit derselben.  

Darauf verweist die Frankfurter Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht  Helene – Monika Filiz, Präsidentin des VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau-, Miet- und Immobilienrecht e. V. mit Sitz in Kiel unter Hinweis auf die Mitteilung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu seinem Urteil vom 19. Januar 2023 – VII ZR 34/20.

  • Sachverhalt:

Die Beklagte war Hauptauftragnehmerin hinsichtlich von Straßen- und Tiefbauarbeiten. Die Klägerin war von derselben als Nachunternehmerin im Jahr 2004 beauftragt worden. Im Verhandlungsprotokoll wurde die VOB/B in der jeweils geltenden Fassung in den Vertrag einbezogen. Die Auftragssumme belief sich auf € 3.031,527,96 netto.

In einem Leistungsverzeichnis zwischen den Parteien wurde als Beschaffenheitsvereinbarung eine bestimmte Betonfestigkeitsklasse B 25 (entspricht der neuen Bezeichnung C 20/25) vereinbart.

Die Beklagte rügte während des Bauablaufes die Qualität des verbauten Betons. Dem Verlangen nach Beseitigung der behaupteten Mängel kam die Klägerin nicht nach. Die Beklagte kündigte den Bauvertrag nach Fristablauf hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten.

Die Klägerin macht Restwerklohn i.H.v. € 2.465.744,23 geltend. Im Wege der Widerklage begehrt die Beklagte die Kosten der Ersatzvornahme i.H.v. € 4.152.902,75, die teilweise Rückzahlung von Abschlagszahlungen (€ 387.332,31), Schadensersatz i.H.v. € 90.729,80, Ersatz von Aval Gebühren i.H.v. € 40.000,00 sowie Mängelbeseitigungskosten i.H.v. € 209.382,83 im Hinblick auf weitere von ihr behauptete Mängel sowie die Feststellung des Vorliegens der von ihr behaupteten Mängel.

  • Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht Halle hat durch Teilurteil festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) gewesen sei. Die Widerklage der Beklagten hinsichtlich der kündigungsbedingten Ersatzvornahmekosten sowie ihre Zwischenfeststellungswiderklage wurden abgewiesen.

Die hierauf gerichtete Berufung der Beklagten führte zur einer Abänderung des  erstinstanzlichen Urteils durch Teilurteil des OLG Naumburg. Es hat die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin abgewiesen und festgestellt, dass es ich bei der Kündigung um eine „Kündigung gemäß § 8 Abs. 1 VOB/B handelt“.

  • Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

Die Revision der Klägerin wurde von dem BGH als begründet angesehen. Es erfolgte die Aufhebung des Urteils sowie zur Zurückverweisugn der Sache an das Berufungsgericht.

Im Wesentlichen stellt sich die praxisrelevante Frage, ob eine Kündigung als sog. „freie Kündigung“ zu verstehen ist, mit der Konsequenz einer Vergütungspflichtigkeit des Vertrages abzüglich der ersparten Aufwendungen, oder ob es sich um eine Kündigung aus wichtigem Grund handelt, mit der Folge, dass die von der Beklagten geltend gemachten Ansprüche derselben zustehen.

Die Beantwortung dieser Fragestellung war vorliegend von der Rechtsfrage abhängig, ob eine Unwirksamkeit von § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wegen Verstoßes gegen das AGB-Recht vorliegt. Der BGH führt aus, dass im Grundsatz gelte, dass dann, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart worden sei, eine isolierte Inhaltskontrolle einzelner VOB/B-Bestimmungen auf der Grundlage der §§ 305 ff. BGB nicht in Betracht komme. Diesen Grundsatz habe der Bundesgerichtshof dahingehend eingeschränkt, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führe, dass diese nicht als Ganzes vereinbart sei und eine Inhaltskontrolle möglich sei (BGH, VII ZR 34/20, vgl. RZ. 12).

Das Berufungsgericht hat die Eröffnung der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB rechtsfehlerhaft abgelehnt.

Nach der Entscheidung des BGH vom 16.12.1982 (VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135) unterlagen die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind keiner Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hatte. Diese Rechtsprechung hat der BGH mit Urteil vom 22.01.2004 dahingehend abgeändert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist. Es kommt demnach nicht auf die Schwere des mit der Abänderung der AGB geänderten Eingriffs an. Die Inhaltskontrolle ist mithin auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen „ausgeglichen“ werden, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 22.01.2004 – VII /R 419/02, BGHZ 157, 346, juris Rn. 11).

In der Rechtsprechung und Literatur ist bislang umstritten gewesen, ob § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (vgl. Rz. 25 m.w.N.).

Der Senat hat diese umstrittene Frage nunmehr dahingehend entschieden, dass § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Vsar. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eins Werkvertrages aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

Praxisrelevant und gefahrenträchtig sind sowohl die Fragen des Ausspruchs und der Deutung von Kündigungen im Hinblick auf das Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes mit der Folge der Beendigungsmöglichkeit des Vertrages oder des Vorliegens einer sog. „freien Kündigung“, die dem Auftragnehmer im Wesentlichen die Vergütungsansprüche zuspricht.

Diese Aspekte sind im tatsächlichen Baugeschehen in einer Vielzahl von Fällen praxisrelevant und von enormer wirtschaftlicher Bedeutung für die Beteiligten.

Die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen einer „eigenmächtigen“ Abänderungen der VOB/B ist aus der BGH-Entscheidung abzuleiten. Denn die Rechtsverfolgung ist mit nicht vorhersehbaren Kosten und Risiken verbunden, die eine baubegleitende rechtliche Unterstützung unvermeidbar erscheinen lassen.

Filiz empfahl, dies zu beachten und bei Fragen zum Baurecht auf jeden Fall Rechtsrat einzuholen, wobei sie in diesem Zusammenhang u. a. auch auf den VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau-, Miet- und Immobilienrecht e. V. – www.VBMI-Anwaltsverband.de  – verwies. 

Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:

Helene – Monika Filiz
Rechtsanwältin / Fachanwältin für Familienrecht / Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
Präsidentin des VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau-, Miet- und Immobilienrecht e. V.

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