Was ist Gruppendenken?
Teams treffen nicht automatisch bessere Entscheidungen als Einzelpersonen. Etwa wenn Gruppendenken (aus dem Englischen: Groupthink) einsetzt: Das Phänomen beschreibt, dass eine Gruppe unter bestimmten Bedingungen eine Entscheidung trifft, die der Einzelne nicht getroffen hätte. „Das Denken einer bestimmten Clique oder Person setzt sich durch. Oder es verfestigen sich Sichtweisen, an die man vorher nicht gedacht hat“, sagt Svenja Hofert, Autorin und Beraterin für Teamentwicklung.
Das Ergebnis: Der Entscheidungsprozess ist nicht ausgewogen – häufig zum Schaden der Organisation. „Gruppendenken erkennt man vor allem im Nachhinein – wenn die schlechte Entscheidung sich mit ihren Konsequenzen zeigt“, sagt Coach Hofert. Dann fragen sich plötzlich alle: Wie konnte das nur passieren? Hat etwa niemand richtig nachgedacht? Denn gerade bei weitreichenden Entscheidungen kann Gruppendenken für Unternehmen negativ sein, etwa wenn es um die Geschäftsstrategie oder die Zukunft des Unternehmens geht.
Gruppendenken kann auch positive Effekte haben. Hofert: „Es kann auch dazu führen, dass die Teammitglieder sich besser benehmen oder besonders wohlwollend kommunizieren, weil sie denken, dass die Gruppe es erwartet.“ Dennoch können durch Gruppendenken weitreichende, schlechte Entscheidungen entstehen – insgesamt sollten Führungskräfte deshalb verhindern, dass es im Team auftritt.
Die Expertin
Svenja Hofert ist Unternehmensberaterin, Organisationsentwicklerin, Autorin und geschäftsführende Gesellschafterin von Teamworks GTQ.(© Anri Coza)
Was sind die Ursachen für Gruppendenken?
Gruppendenken ist nicht auf eine eindeutige Ursache zurückzuführen. Doch es gibt Umstände, die das Auftreten wahrscheinlicher machen:
Druck, sich anzupassen
Häufig kommt es laut Expertin Hofert zu Gruppendenken in Unternehmen, die autoritär geprägt sind: An deren Spitze stehen wenige Persönlichkeiten, die ähnliche Einstellungen haben und sich selbst nur wenig reflektieren oder beraten lassen.
Verstärkt wird das Phänomen, wenn in Meetings das Machtgefälle groß ist, die Mitglieder sich stark an Autoritäten orientieren und ihre Äußerungen gewertet werden. Teammitglieder empfinden dann den Druck, sich der Gruppennorm anzupassen – und treffen eher Entscheidungen, die nicht ihrer eigenen Meinung entsprechen.
Wunsch nach Harmonie
Nicht nur Hierarchien können Gruppendenken befördern. Auch in Unternehmen, in denen auf Augenhöhe und wertschätzend kommuniziert wird, ist die Gefahr da, sagt Hofert: „Wenn sich zum Beispiel freundschaftliche Normen bilden, folgt die Gruppe immer noch einer Person – auch wenn sie nicht dem typischen Machthaber entspricht“, sagt Hofert.
Unwissen über Gruppenprozesse
Problematisch ist, wenn das Team psychologische Gruppenprozesse nicht kennt. „Viele denken: Man kommt im Team zusammen, tauscht sich aus und dann kommt automatisch etwas Gutes dabei raus. Aber so funktionieren Gruppen nicht“, sagt Hofert. Es gebe gewisse Probleme, die in Gruppen und Meetings auftreten können, und die Teams kennen sollten. Dazu zählen zum Beispiel:
Gruppenpolarisierung: Nach einer Diskussion tendieren Teammitglieder extremer in eine Richtung als zuvor.
sinkende Aufmerksamkeit: Teammitglieder werden müde und unkonzentriert, wenn ein Meeting lang dauert – und überdenken Entscheidungen nicht mehr so genau.
Halo-Effekt: Wirkt ein Gruppenmitglied sympathisch, gehen die anderen eher davon aus, dass dessen Meinung auch positiv ist, und hinterfragen diese seltener.
Abgeschottetes Arbeiten
„Hat eine Gruppe kaum oder nur wenig Kontakt nach außen, steigt das Risiko für Gruppendenken“, sagt Hofert. Denn es fehlen neue Perspektiven und gegensätzliche Meinungen. Die Gruppe übersieht schneller mögliche Probleme, die auf ihre Entscheidung folgen können.
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Was können Führungskräfte gegen Gruppendenken tun?
Problematik sichtbar machen
„Das Wichtigste ist: über Gruppendenken reden und aufklären“, sagt Hofert. Denn nur, wenn dem Team die Gefahr für Gruppendenken bewusst sei, könne es das eigene hinterfragen und besser gegensteuern.
Ein Anfang kann sein, in der Gruppe kritisch über die Diskussionskultur zu sprechen: Trauen sich alle, ihren Standpunkt zu vertreten? Wie gehen wir mit kontroversen Meinungen um? Gibt es Hierarchien, die bei manchen Entscheidungen problematisch sein können?
Meetings verbessern
„Es geht beim Gruppendenken nicht um eine einzelne Person, die allen anderen ihre Meinung aufdrückt“, sagt Hofert. Deshalb sollten Führungskräfte vor allem auf Prozesse schauen statt auf einzelne Personen: Wie sind Entscheidungsprozesse im Unternehmen gestaltet? Sind sie gut strukturiert? Werden auch Gegenargumente berücksichtigt oder dient eine Entscheidung nur der Selbstbestätigung?
Eine typische Methode in Meetings, die viele Unternehmen laut Hofert verbessern können: das Brainstorming: „Hier ist die Chance hoch, dass sich die Meinung von einzelnen Person durchsetzt.“ Wichtig sei in erster Linie, den Informations- und den Entscheidungsprozess zu trennen, um alle Perspektiven zu sehen.
Die Expertin rät dazu, dass sich jedes Teammitglied bereits vor dem Meeting Gedanken zur eigenen Meinung macht und diese aufschreibt. Im nächsten Schritt kann sich jeder mit seinem Sitznachbarn austauschen, danach in Kleingruppen – bis die gesamte Gruppe sämtliche Blickwinkel auf die Situation einnehmen konnte und eine fundierte Entscheidung treffen kann.
Mehr dazu: Brainstorming: Diese Regeln machen es produktiver
Neue Perspektiven einbringen
Manche Teams haben gute Prozesse und jeder wird gehört – aber die Mitglieder sind alle immer einer Meinung, weil sie sich so ähnlich sind. Führungskräfte können dann gezielt neue Perspektiven in den Entscheidungsprozess einbeziehen, sagt Hofert. Zum Beispiel indem sie externe Personen dazu holen, die ihre Sicht schildern.
In manchen Unternehmen ist laut der Expertin eine Beratungspflicht nützlich: Bevor eine Gruppe eine Entscheidung trifft, muss sich jeder mit einem Experten darüber austauschen, ob sie sinnvoll ist.
Es gibt auch Methoden, mit denen Teams ohne externe Hilfe Schwachstellen bei Ideen aufdecken können. Bei der Methode „Advocatus Diaboli“ übernimmt eine Person die Rolle, in Meetings Gegenargumente zu sammeln und alles zu kritisieren, was die anderen vorschlagen – auch dann, wenn er oder sie eigentlich hinter dem steht, was besprochen wird.
Mehr dazu: Advocatus Diaboli: Bessere Entscheidungen treffen
Im Nachgang empfiehlt Hofert zudem, getroffene Entscheidungen gemeinsam zu reflektieren: Was lief gut – und was könnte nächstes Mal besser sein? So gewöhne sich das Team daran, Vorgehensweisen regelmäßig neu zu bewerten und Alternativen zu entwickeln.
Welche Forschung gibt es zu Gruppendenken?
Das Groupthink-Phänomen ist seit den 1970er-Jahren bekannt. Der Sozialpsychologe Irving Janis untersuchte damals Entscheidungen der amerikanischen Außenpolitik, die sich als schlecht herausgestellt hatten. Seine Erkenntnis: Die Entscheidungen waren durch gruppendynamische Ereignisse entstanden. Beteiligte hatten sich, entgegen ihrer eigentlichen Überzeugung und Meinung, der Gruppe angeschlossen.
Beispiele für Gruppendenken
Ein bekanntes Beispiel für Gruppendenken – das auch der Psychologe Janis untersuchte – kennen viele aus dem Geschichtsunterricht: die Invasion der Schweinebucht. 1961 veranlasste der damalige US-Präsident John F. Kennedy gemeinsam mit seinem Beratern die Invasion Kubas, um Fidel Castro zu stürzen. Das Manöver lief schief, Kuba nahm über 1100 Gefangene. Wie Janis analysierte, hatte das Groupthink-Phänomen zu einer Reihe von Fehlannahmen in der Entscheidergruppe geführt.
Auch in der Wirtschaft gibt es Beispiele für Gruppendenken. So sollen etwa die Insolvenz der Fluggesellschaft Swissair und auch der Abgas-Skandal bei Volkswagen durch jahrelange schlechte Gruppenentscheidungen entstanden sein, bei denen gegensätzliche oder kritische Meinungen systematisch vernachlässigt wurden.