Gemeinsamer Bundesausschuss beschließt Änderung der geltenden Regelungen

(Stuttgart) Ein persönlicher Arztbesuch zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist künftig nicht mehr zwingend erforderlich. Die bisherigen Regelungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, die einen persönlichen Arztbesuch vorsahen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 16.7.2020 geändert.

Die aktuellen Änderungen bewertet der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott.

Regelungen zur Information des Arbeitgebers bei Erkrankung des Arbeitnehmers finden sich in vielen Arbeitsverträgen. Auch das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hält dazu in § 5 Regelungen bereit: Wenn ein Arbeitnehmer erkrankt und zur Arbeitsleistung verhindert ist, muss der Arbeitnehmer dies seinem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit zudem länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag seinem Arbeitgeber unaufgefordert vorzulegen. Der Arbeitgeber ist zudem berechtigt, eine ärztliche Bescheinigung schon eher zu verlangen. „Es ist damit rechtlich ohne Weiteres zulässig, den Arbeitnehmer anzuweisen, bereits am ersten Tag einer Erkrankung ein ärztliches Attest vorzulegen“, so Prof. Dr. Michael Fuhlrott. „Die Wirksamkeit dieser Regelung hat das Bundesarbeitsgericht in mehreren Entscheidungen bestätigt. Hierzu bedarf es insbesondere keiner Begründung des Arbeitgebers oder eines Missbrauchs durch den Arbeitnehmer in der Vergangenheit“, so Fuhlrott weiter. Und: „Kommt der Arbeitnehmer dieser Aufforderung nicht nach, so stellt dies eine Pflichtverletzung dar, die je nach Einzelfall von einer Abmahnung bis hin zu einer Kündigung sanktioniert werden kann“.

–       Bislang: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur bei persönlichem Arztbesuch

Die Ausstellung einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist daher für viele erkrankte Arbeitnehmer eine unangenehme Pflicht, die sich z.B. wegen einer Erkältungserkrankung in eine überfüllte Arbeitspraxis begeben müssen, nur um die begehrte Bescheinigung erhalten zu können. Gleichwohl sahen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit in ihrem § 4 bislang vor, dass „bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (…) körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheitszustand der oder des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen“ seien und verlangten daher, dass „die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund ärztlicher Untersuchung erfolgen“ dürfe.

Angebote vereinzelter Anbieter, die die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach Beantwortung eines Online-Fragebogens bei bestimmten leichteren Atemwegserkrankungen vorsahen, standen daher bereits vielfach in der Kritik. „Arbeitnehmer, die eine solche Bescheinigung vorlegten, mussten damit rechnen, dass diese vom Arbeitgeber nicht anerkannt wird“, so Fuhlrott.

–       Befristete Erleichterungen bereits in der Corona-Pandemie

Während der Hochphase der Corona-Pandemie gab es bereits ähnliche Erleichterungen bei den Regelungen. So war es Ärzten aufgrund befristeter Änderungen in der Zeit vom 9.3.2020 bis Ende Mai 2020 erlaubt, nur aufgrund telefonischer Rücksprache mit dem Arbeitnehmer und ohne körperliche Untersuchung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erteilen. Diese Regelung bezog sich ebenfalls nur auf Atemwegserkrankungen und war zunächst auf 14, später auf sieben Tage begrenzt. Die Regelung war bundesweit zu Ende Mai außer Kraft getreten. Zuletzt, vom 23.6.2020 bis zum 14.7.2020 gab es nur noch regional in den besonders vom Corona-Virus betroffenen Landkreisen Gütersloh und Warendorf diese Möglichkeit.

–       Neuregelung soll dauerhaft und bundesweit gelten

Die nunmehrige Neuregelung soll Kassenärzten erlauben, die Arbeitsunfähigkeit auch per Untersuchung in Form einer Videosprechstunde, also ohne persönlichen Besuch, zu attestieren. Nach den Angaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist jedoch Voraussetzung, dass der gesetzlich versicherte Arbeitnehmer in der Arztpraxis bekannt ist. Zudem muss das Krankheitsbild eine Diagnose per Videosprechstunde erlauben und darf die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht länger als eine Woche erfolgen. Verlängerungen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Video sollen nur erlaubt sein, wenn die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit qua persönlicher Untersuchung erfolgt ist (PM Nr. 35/20 v. 16.7.2020 des Gemeinsamen Bundesausschusses, abrufbar unter https://www.g-ba.de/downloads/34-215-879/35_2020-07-16_AU-RL_Fernbehandlung.pdf).

„Der Arbeitnehmer muss also mindestens einmal dem Arzt persönlich begegnet sein, bevor er eine solche Krankschreibung erhalten kann“, so Fuhlrott. „Diese Regelung ist absolut sinnvoll, um Fälle vereinzelten Missbrauchs beim „gelben Schein“ zu verhindern“, so der Arbeitsrechtler. Die neuen Regelungen machen auch deutlich, dass die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit per Online-Fragebogen oder nur aufgrund eines Telefonats auch künftig nicht möglich sein werden. Sie stellen damit in genau definierten Fällen eine sinnvolle Alternative und Erleichterung zum persönlichen Arztbesuch dar, die gleichzeitig Missbrauch verhindert“. Spannend bleibt für den Arbeitsrechtler aber, wie die technischen Voraussetzungen an solche Videosprechstunden umgesetzt werden und welche Krankheitsbilder die Ärzteschaft als geeignet für eine Diagnostik per Videosprechstunde einstufen will.

–       Inkrafttreten der Änderungen nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger

Nach der entsprechenden Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses wird der vorgenannte Beschluss mit den Neuregelungen noch dem Bundesministerium für Gesundheit vorgelegt und tritt nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Fuhlrott empfiehlt Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Streitfragen zur Beurteilung des Vorgehens bei Zweifeln an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder hierauf gestützten arbeitsrechtlichen Konsequenzen wie Abmahnungen oder Kündigungen Rechtsrat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verweist.

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